Sammelbände
Monographien
Kataloge
Beiträge in Zeitschriften
Presseinformation von Prof. Dr. Hendrik Birus
Katalogtext von Walter Grasskamp
Presseinformation von Rike Wankmüller
Gutachten von Prof. Hans Baschang
Sammelbände:
- Partsch, Susanna: "Lindenmann, Kuno", in: Allgemeines Künstlerlexikon, Bd. 84, Berlin: de Gruyter 2015, S. 494-495.
- Dollinger, Hans: München im 20. Jahrhundert. Eine Chronik der Stadt von 1900 bis 2000, Buchendorfer Verlag, München, 2001. Unter „1989“ steht u.a. der Eintrag ‚Förderpreis der Stadt für Bildende Kunst an Kuno Lindenmann’, S. 379.
- Kulturreferat der Landeshauptstadt München (Hrsg.): Förderpreise 1989, München, Wind + Michl 1989.
- Lischka, G. J (Hrsg.).: Alles und noch viel mehr. Die KathalogAnthologie der 80er Jahre. Das poetische ABC, Bern: Benteli 1985. Unter dem Artikel „Installation“ findet hier sich auf Seite 552 das Bild einer Rauminstallation Kuno Lindenmanns.
- Lindenmann, Kuno: „Durchkreuzte Räume“, Text: Cornelia Stabenow, in: »So zu sehen«, Frankfurt: kretschmer & großmann,1984, S. 27-39.
- Längsfeld, Wolfgang: „Wanderungen des Kunstfreunds in vielfältiger Landschaft“ in: »So zu sehen«, Frankfurt: kretschmer & großmann,1984, S. 121-139.
- Grasskamp, Walter: „Allemagne, Kunstverein Ingoldstadt, Installation Bilder Kuno Lindenmann“. Textauszug (ins Französische übersetzt) aus der Einzelausstellung von Kuno Lindenmann 1983 mit farbigen Fotos von einer Innen- und einer Außeninstallation, 1983, in: „Art 83/84. Panorama mondial de l’art contemporain, Editions du Chêne, Paris, 1984, S. 45 u. 189 (ISBN 2-85108-369-4).
Monographien:
- Lindenmann, Kuno: Schloß damit, Text: Cornelia Stabenow, hg. v. Kunstreferat der Landeshauptstadt München, München: Wind+ Michl 1989 (=Förderpreise 1989).
- Lindenmann, Kuno: Installation Bilder. Kunstverein Ingolstadt 9.-30. Oktober 1983, hg. v. Kunstverein Ingolstadt, München: Anderland o.J.
Kataloge:
- Kat. Ausst./ Kunstauktion, Karl&Faber, Auktion 208 – II. Teil, 7./8. Juni 2005, Moderne Kunst, S. 138-139, München, 2005.
- Kat. Ausst.: Kunst ist schön. 1969-2000 40 Jahre Kunstverein Ingolstadt. Jubiläumsausstellung des Kunstvereins Ingolstadt, Exerzierhaus im Klenzepark, Kunstverein Ingolstadt 2000, Ingolstadt 2000. (Mit Text von Peter Volkwein: „Die achtziger und neunziger Jahre oder der ‚Hunger nach Bildern’“, S. 98-99 u. 176-177).
- Kat. Ausst.: Circuitos d’Água. Ausstellung zeitgenössischer portugiesischer und deutscher Kunst, Museu de Electricidade, Institutio de Arte Contemporââ, Lisboa u. Bayrisches Staatsministerium für Unterricht, Kultus, Wissenschaft und Kunst, 1998, München 1998.
- Kat. Ausst.: Mitglieder von A bis Z, Galerie der Künstler, BBK München und Oberbayern e.V. 1992, München 1992.
- Kat. Ausst.: Kunst im Abbruch, Kunstwerkstatt, Kulturreferat der Landeshauptstadt München 1991, München 1991.
- Jaeckel, Claudia: „Die Kunst zu leben“ und Holme, Marianne „’zeitbezüglich’“, in: Kat. Ausst.: zeitbezüglich, 6. Kunstwoche Dillingen, Kunstverein Dillingen, 1990.
- Kat. Ausst.: 5. Nationale der Zeichnung Augsburg, Farbe – zeichnerischer Gestus, Atelier-Galerie, Buchhandlung und Galerie Minotaurus, Sparkassen-Galerie, Kreissparkasse Augsburg, S. 60-61, Kissing/Augsburg, 1988.
- Kat. Ausst.: Räumlich, Burg Stolberg, Kulturamt, Druckerei J. Stercken, Stadt Stolberg, 1988.
- Kat. Ausst.: ???????? UCRONIA, 33 artisti europei a Torino, S.26-27. Edizioni L’Uovo di Struzzo, Turin, 1987.
- Lindenmann, Kuno: „Zerstörung und Konstruktion“, S. 53-59, in Kat. Ausst.: Divergences – Convergences, Une Exposition, Goethe-Institut Paris, Montpellier, Lille, Bordeaux, Toulouse, Nancy (Wanderausstellung), Dettling-Verlag, Pforzheim, 1987.
- Kat. Ausst.: Nebeneben, ehem. Coca-Cola-Fabrik, Steinstraße 58 in München, Kulturreferat der Landeshauptstadt München 1986, München 1986.
- Kat. Ausst.: Bilder im Vorbeifahren. 2. RischArt-Preis ’85, U- und S-Bahnbereich Marienplatz in München, RischArtPreis, 1985, München 1985.
- Kat. Ausst.: Münchner Künstler Börse, Wanderausstellung München, Wien u. a., Kulturreferat der Landeshauptstadt München 1985, München 1985.
- Kat. Ausst.: Kunstpreisträger der Landeshauptstadt München, Künstler, die in Haidhausen leben oder arbeiten, Münchner Volkshochschule, Gasteig Kulturzentrum 1985, München 1985.
- Kat. Ausst. : Bayerische Kunst unserer Tage, Wien, Künstlerhaus am Karlsplatz, S. 103, Bundesverband Bildende Künstler, Sektion Bayern, Anderland Druck u. Verlag, München, Maising, 1984.
- Kat. Ausst.: Kontraste, Ausstellung des Bundesverbandes Bildender Künstler e.V., Sektion Bayern u. des Verbandes der Bulgarischen Bildenden Künstler in Sofia, Verlang Anderland, München, 1982.
- Kat. Ausst.: Kuno Lindenmann, Kunstforum Maximiliansstraße, Städtische Galerie im Lenbachhaus München 1982, München 1982. (Mit Text von Helmut Friedel, S. 1.)
- Kat. Ausst.: Die ersten Jahre der Professionalität, Galerie der Künstler, Berufsverband der Künstler u. Kulturreferat der Landeshauptstadt München 1982, München 1982.
- Kat. Ausst.: Europaprijs voor schilderkunst, Prix Europe de peinture, Europe Prize for painting, Europapreis für Malerei, Casino-Kursaal Oostende & Musée Verviers, Belgien, Ostende, 1980.
Beiträge in Zeitschriften:
- Kuno Lindenmann, Installation Kunstforum/Städtische Galerie im Lenbachhaus, München, 1982 (Holz, bemalt, Foto: Roland Fischer) in: Skulptur & Farbe II, Bildanthologie, Kunstforum international 62 (1983), S. 93 u. 106-107.
- Weskott, Hanne: “Brief aus München. Gegenwärtige Vergangenheit“, in: Kunstforum international 70 (1984), S. 182-187.
- Bluemler, Detlef: „Gegen die Behübschung des Daseins“, in: München Mosaik 3 (1985), S. 42.
- Fuchs, Claudia : „Der Reiz der Ruine“, in: Leonardo, Magazin für Architektur 4/1991, S. 75-76.
- Schütz, Heinz: „Jenseits von Utopie und Apokalypse? Zum Minemismus der Gegenwartskunst“ S. 64-100 und speziell „Ruinenkunst“, S. 98-99, Kuno Lindenmann „Dynamische Statik“ als Beitrag zu „Kunst im Abbruch“, München 1991, in: Kunst Geschichte Kunst, in: Kunstforum international 123 (1993), S. 99.
Presseinformation von Prof. Dr. Hendrik Birus
Zur Einzelausstellung von Kuno Lindenmann im Palazzu Naziunale di Corti (1993):Kuno Lindenmann: ein konsequent nicht-gegenständlicher Künstler in einer Periode der vielfältigen Rückwendungen und Kompromisse. Doch wie die avantgardistische Musik nach John Cage gerade nicht mehr den seinerzeit als Kanon der Moderne etablierten Regeln der Dodekaphonie folgt, so steht Lindenmanns künstlerisches Verfahren quer zum methodischen Programm der Klassischen Abstraktion und ihrer orthodoxen Nachfolger. Man könnte es geradezu im Gegensatz zum Titel von Kandinskys didaktischer Programmschrift Punkt und Linie zu Fläche (1926) zu formulieren versuchen: Räume und Impulse zu Flächen. Wohlgemerkt, nicht – entsprechend den Singularen à la Kandinsky – d e r Raum, sei es der neutrale Raum der Repräsentation oder zumindest der einheitliche Bildraum, sondern stets multiple, konkrete Räume, die (anders als in der Klassischen Physik) gar nicht unabhängig von den sie konstituierenden Materialien gedacht werden können. Und wo andererseits bei Kandinsky eine einfache Progression vom Punkt zur Linie – wie bei Schönberg und Webern von den entqualifizierten Halbtönen zu 12-Ton-Reihen – erfolgt, da werden hier diese spannungsvollen Materie-Räume von ihrerseits multiplen Impulsen attackiert. Wenn also auch in diesen Bildern Punkte und Linien identifizierbar sind, so nie als elementare, abstrakte Größen, sondern allenfalls als Kraftzentren und Vektoren.
Eindrucksvoll wahrnehmbar war dies in Lindenmanns Münchener Installation „Kunst im Abbruch“ (1991): Die Räume, das waren zunächst die zum Abriß freigegebenen Wohnräume in ihrer desolaten Symmetrie und Beziehungslosigkeit. Die gegen sie gerichteten Impulse, sie wurden zunächst durch die aufgefahrenen Abrißbirnen, Bagger, Kräne etc. repräsentiert. Doch von der ersten Demolition an entwickelten sich ständig neue, differenziertere Räume: feste Kerne, die fast bis zuletzt der Zerstörung wiederstehen sollten; vertikale und horizontale Strukturen, die noch virtuell das Ganze darstellten, selbst aber nur noch auf Abruf existierten; schließlich die wachsende Masse des Zerstörten. Und anderseits verschoben sich immer wieder die Impulse von der globalen Attacke zum Elaborieren neuer Strukturen, ähnlich dem Heraushauen einer Skulptur aus dem Steinblock. – Und die Flächen, von denene noch nicht die Rede gewesen ist? Es waren dies nicht etwa bloß die durch Bruchlinien gebildeten Raumschichten, sondern zunächst vor allem die – sei es chaotischen, sei es ausbalancierten – Impressionen, die der hin- und hergehende Betrachter gleich einem Vedutenmaler aus diesem Abbruchpanorama für sich selbst zu gewinnen hatte. Diese transitorischen Erinnerungs-Bilder und nichts auch nur entfernt Skulpturähnliches waren zunächst das einzige, was von solcher Installation geblieben ist. Und allenfalls ihre Repräsentation durch Photographien als bloßen Dokumenten. Doch nun der entscheidende Kunst-Akt: die Transformation all dessen – Photos, Grundrißskizzen, Notizen – in ein neues, nun wirklich bleibendes Ensemble von spannungsvoll ausbalancierten Flächen als künstlerischen Repräsentanten von Räumen und Impulsen. Titel: Dynamische Statik.
Dieses ästhetische Verfahren wird man in den so verschiedenartigen Werken Lindenmanns, ja selbst noch in seinen asketischsten Bleistiftskizzen, wiedererkennen und sie so von auf dem ersten Blick Verwandten – sei es Sonderborg, sei es Cy Twombly – unterscheiden können. Das einzelne ‚Tafelbild‘ ist dabei offenkundig nicht das Telos seiner Kunst. Denn wie sich die einzelnen Gemälde und Drucke gern zu Serien zusammenschließen, so verlangen sie – gleich seinen Installationen – nach Ausstellungsräumen, in denen sich ihre Korrespondenzen und Gegensätze entfallen, ja mit denen sie selbst in eine Auseinandersetzung treten können. Der „Palazzu Naziunale“ zu Corti ist in dieser Hinsicht bisher die größte Herausforderung: für Lindenmanns Bilder, die nicht zuletzt im Blick auf diese eminent historisch geprägten Räume, vor allem aber auf die Erde, die Steine, die Vegetation, das Licht und die Menschen dieser Insel entstanden sind.
Prof. Dr. Hendrik Birus, München
Katalogtext von Walter Grasskamp
Zur Ausstellung „Kuno Lindenmann, Installationen–Bilder“, 09.-30. Oktober 1983, KunstvereinIngolstadt, erschien ein Katalog, der auch die Ingolstädter Installation dokumentierte.
Der Ruin der Ruine
Auch Ruinen sind Gewohnheitssache. Man schaut kaum noch hin, wenn ein lärmender Bagger das Innere eines Hauses nach außen kehrt, wenn Ziegelmauern kippen, Holzbalken splittern und Fensterrahmen knirschen. Allenfalls Kinder bleiben noch stehen, um dieses Schauspiel zu verfolgen, aber sie interessieren sich mehr für den Bagger. Die Ruine genießt kein Ansehen mehr, sie provoziert weder Furcht noch Respekt bei den Passanten, die sich längst daran gewöhnt haben, daß es um die Lebenserwartung von Gebäuden nicht mehr gut bestellt ist. Das Pathos des Ruinösen in der Gartenarchitektur und Malerei des 18. wie des 19. Jahrhunderts ist dem 20. Jahrhundert fremd, weil diesem die Ruine zur alltäglichen und damit beiläufigen Figur geworden ist, gleichgültig, ob es sich um Kriegs- oder Friedenszeiten handelt. Vielleicht sind die Luftaufnahmen zerbombter Städte aus dem 2. Weltkrieg den Nachgeborenen noch bemerkenswert, aber wen beeindruckt es schon, daß nach dem Krieg in der Bundesrepublik mehr Häuser zerstört worden sind als bei diesen Angriffen? Es ist nichts Eindrucksvolles an dieser zweiten Zerstörungswelle, denn ihre lokale und zeitliche Auflösung in Einzelfälle vereitelte, daß sich überhaupt ein Bewußtsein vom Umfang dieser Zerstörung bilden konnte. Es war aber nicht allein diese Salamitaktik des Abreißens, welche die Ruine um ihr Ansehen brachte, es ist vor allem die fast klinische Hygiene der Zerstörung, die rasche und gründliche Beseitigung der Trümmer, die nur noch an den angrenzenden Brandmauern Spuren des Hauses übrig läßt, das beseitigt worden ist. So hat sich die Lebensdauer der Ruine auf den Zeitraum des Abreißens begrenzt und damit ist sie ruiniert, denn sie bräuchte, um als Ruine wirken zu können, mehr Zeit, viel Zeit. Ruinen gibt es in unseren Städten nur noch als Schauspiel, nicht mehr als Denkmäler wie in den Ruinenschutzgebieten entlang des Rheins und in Westberlin. Erst als zur Zeit der Sanierungswelle in den 1970er Jahren ganze Straßenzüge abgeräumt werden sollten, veränderte sich das Klima der Gleichgültigkeit, in dem bis dahin die Zerstörung gedeihen konnte. Die Verteidigung historisch gewachsener Sozialstrukturen und die Neubewertung altmodischer Bauformen wurden zu Reizthemen einer Debatte, die aus der Verbindung von Ästhetik und Alltagsleben eine neue Kulturtheorie zu destillieren suchte. Leerstehende Häuser, vor allem solche in der ersten Übergangsphase zur Ruine, fanden nun aufmerksame Beobachter unter den Passanten, welche die geringsten Anzeichen eines geplanten, unscheinbaren Verfalls dem Denkmalschutzamt meldeten.
Ruinenkünstler
Es gibt auch Künstler, die einen Blick für leerstehende Häuser entwickelt haben, weil Ruinen die Voraussetzung oder das Ziel ihrer künstlerischen Arbeit darstellen. Gordon Matta-Clark begegnete der neuen, flüchtigen Qualität der Ruine bereits 1972 mit dem angemessenen Medium, mit Filmen, später machte er Abrißbauten an den Fassaden durch Durchbrüche, dann auch in den Innenräumen durch geometrische Einschnitte durchschaubar. Seine Ruinierung des „Office Baroque“ in Antwerpen, die er 1977 als letztes Projekt vor seinem Tod realisieren konnte, war eine neue Form der Ruinenkunst, die zeigte, wie „aus zerschnittenen Häusern begehbare Plastiken werden" (Michael Schwarz). Sein Beispiel ist fast ohne Nachfolge geblieben, aber die Ruine ist nicht zuletzt durch sein Vorbild zu einem neuen Spielfeld zeitgenössischer Kunst geworden. Verschiedene Künstler bemalen oder besprühen leerstehende Gebäude in den Innenräumen und halten in Fotografien fest, was mit dem Abriß der Bauten verschwindet (John Divola, USA, Georges Rousse, Frankreich). Anderen Künstlern bieten Räume, die für den Abriß vorgesehen sind, die Gelegenheit, Kunst und Architektur in Installationen zu verbinden, in denen sich nicht die Kunst nach der Architektur zu richten hat, sondern die Architektur verändert und soweit ruiniert werden kann, wie es für die Installation erforderlich ist. Die Ausstellung „Ultimo“ etwa fand 1982 in einem Flügel des Museums Gelsenkirchen statt, der anschließend abgerissen worden ist, und präsentierte eine Reihe von Möglichkeiten, die sich in Abrißhäusern für Skulptur und Installation ergeben. Indem diese Ruinenbaumeister das dem Untergang geweihte Gebäude noch einmal gezielt veränderten und bewußt benutzten, machten sie deutlich, daß Ruinieren keineswegs Kaputtmachen bedeutet. Die technisch durchdachte und handwerklich aufwendige Veränderung des Hauses in eine Ruine zeigt kurz vor dessen Verschwinden eine Form der Kunst-am-Bau, die auf eine andere als die übliche Art versucht, Kunst und Architektur zu integrieren. Diese Ruinenbaukunst hat weder mit dem Pathos der Ruine zu tun noch mit der Nostalgie, die sich seit dem Widerstand gegen Sanierungsprojekte über die Fassaden der Gründerzeit gelegt hat, sie ist emotionslos, fast technoid, ohne politische Absicht, aber sie ist zumindest insoweit Bestandteil der kulturellen Situation, in der Häuserkämpfe geführt werden, als sie darunter zu leiden hat. Bei den Vorbereitungen zu der Ausstellung „Künstler-Räume“, die der Kunstverein in Hamburg im Sommer 1983 zeigte, wurden zahlreiche Räume, die für die Ausstellung zugesagt worden waren, von ihren privaten Besitzern wieder blockiert, entweder weil sie fürchteten, daß die Künstler sich als Hausbesetzer entpuppen könnten, oder weil sie diese im Schlepptau der Aussteller vermuteten. So kann auch diese scheinbar der Tagespolitik ferne Kunst der Rauminszenierung in leerstehenden Gebäuden nicht ohne politische Konnotationen betrachtet und gemacht werden.
Konnotation und Abstraktion
Unter den Künstlern, die Umgang mit den kurzlebigen Ruinen unserer Städte pflegen, ist Kuno Lindenmann scheinbar der abgebrühteste. Ruinöse Gebäude und Abrißaktionen betrachtet er zwar nicht ohne Emotionen, aber es sind die eines Plünderers, dem der Zufall in die Hände arbeitet, eine Mischung aus Abscheu und Habgier, wie sie ein Leichenfledderer empfinden mag, mit dem Lindenmann einiges gemeinsam hat, denn er ist ein Ruinenfledderer. Im Gegensatz zu Matta-Clark oder Wolfgang Robbe, die ein leerstehendes Haus als Möglichkeit betrachten, daraus für ihre Zwecke eine Ruine entstehen zu lassen, ist die Ruine für die Arbeit von Kuno Lindenmann eine Voraussetzung, denn sie ist sein Rohstofflager, der aufgehäufte Schutt sein potentielles bildnerisches Material. Von den beiläufigen Ruinen, aus Häusern im Niemandsland der Renovierung und anderen Orten der Zerstörung besorgt er sich Holzbalken oder Fenster, die gleich zwei verschiedene Spuren der Bearbeitung tragen, die der Herstellung und die der Zerstörung, und er lagert sie ein, um sie für lnstallationen einsetzen zu können, in denen diese Trümmer eine dritte und letzte Bearbeitung erfahren. Diese letzte Bearbeitung in der Installation dient weder dazu, die historischen Konnotationen des Materials zu akzentuieren, noch werden sie verdeckt oder geleugnet, sie bleiben dem Material ablesbar, wie sie der Zufall fügt: Türgriffe stecken noch im zersplitterten Holz, Nägel und Farbreste; andere Holzstücke zeigen Falze und Kerben, auf die man sich keinen Reim mehr machen kann, anonyme Spuren einer schwindenden Handwerkskultur, die Lindenmann dem Material beläßt. Sein Umgang mit diesem Material ist aber kein pfleglicher: was die Zerstörung bereits durcheinander gebracht hat, wird nun nicht wieder zusammengefügt, sondern ein weiteres Mal umgruppiert, diesmal aber nach den streng artistischen Gesichtspunkten einer Raumskulptur, einer Installation. Lindenmanns bildnerische Strategie überführt das historisch markierte und gezeichnete Material in eine abstrakte Raumskulptur, der er mit Teer und Farben, auch mit Leinwandfetzen, Akzente setzt, die nur noch mit der Raumsituation selbst zu tun haben, mit der Pointierung strategischer Punkte in der Installation, mit der Herstellung von Beziehungen zwischen verschiedenen Materialakkumulationen im Raum und mit der Gruppierung heterogenen Materials. Die Materialherkunft wird nun überlagert durch eine Materialbearbeitung, die auf räumliche Effekte aus ist, auf Ruhezonen, Brüche und Verdichtungen, für deren Herstellung Lindenmann auch den Ausstellungsraum selbst partiell zerstört. Die Verbindung beider Materialaspekte, der Herkunft und der Abstraktion, wird durch Lindenmanns eigentümliche Strategie gewahrt, aus den baulichen Resten verschwundener Räume einen neuen Raum zu bauen. Dem Material ist gleichzeitig seine Herkunft und seine neue Funktion im bildnerischen Kontext ablesbar, wie in den Skulpturen John Chamberlains oder Tony Craggs, die in ganz anderen Alltagsjagdgründen wildern als Lindenmann und andere gefährdete Gegenstände in ein artistisches Recycling verwickeln.
Ist Lindenmann bei der Beschaffung seines Materials auf den Zufall angewiesen, so überläßt er in der Installation nichts dem Zufall, im Gegenteil, er arbeitet lange vorher an Modellen, die den Raum mit den Eingriffen zeigen, die er plant; es bleibt bei der endgültigen Installation zwar ein Spielraum für spontane Improvisationen, aber in der Struktur und im Detail ist sie lange vorausgeplant, wie eine Architektur. Lindenmanns Installationen leben von dieser Spannung, die eine scheinbar improvisiert aufgehäufte, wie zufällig zusammengetragene Materialanordnung erweckt, in der allerdings jedes Detail lange auf seinen Standort und seine Funktion hin überprüft worden ist; sie wird verstärkt durch eine Spannung, die sich daraus ergibt, daß zerstörtes Material für konstruktive Zwecke eingesetzt wird.
Zerstörung und Konstruktion
Für Lindenmann ist das Zusammenspiel von Zerstörung und Konstruktion kein neues Thema; wenn er es auch erst seit 1981 in räumlichen Arbeiten und Installationen durchspielt, so datieren seine ersten Formulierungen noch in die Zeit zurück, als er sein Studium an der Münchener Kunstakademie in der Klasse von Karl Fred Dah-men mit Arbeiten beendete, die mit der Zerstörung kalkulierten. Materialbilder mit Industrieschlick, der beim Austrocknen Risse und Sprünge aufwies, gaben der Bildoberfläche ebenso den Anschein von Zerstörtem und Gefährdetem wie Radierungen mit Platten bewerkstelligt wurden, die gezielt mit Säure perforiert worden waren. Eine Serie von bemalten Kartons, die um 1979/1980 entstanden ist, formulierte das Zusammenspiel erneut und pointiert. Der mit fast farbloser Dispersion eingenäßte Karton wurde mit einfachen Werkzeugen auf der Oberfläche eingekratzt, geritzt und durchfurcht, er zeigte „eingegrabene Mitteilungen, wie Figuren ins Eis gefahren" (Hans Baschang). Im zweiten Arbeitsgang wurde die aufgegrabene Bildoberfläche wieder partiell geschlossen und insgesamt durch Farbpigmente, „wie Puder über der Wunde" (Baschang), überlagert. Auf die gefurchte und schrundige Oberfläche des Kartons legte sich die zweite Oberfläche der Farbe, die Raumillusion ihrer Valeurs. War in diesen großformatigen Arbeiten mit aufgekratzten Kartons und Farbpigmenten bereits die Absicht erkennbar, aus der Fläche durch Beschädigung ein flaches Relief entstehen zu lassen, so entstanden in der Zeit, die Kuno Lindenmann als Stipendiat des DAAD im Maastricht verbrachte, erste Arbeiten, welche die Bildfläche völlig verließen. Nach Maueröffnungen, die nach dem Einfügen aufgerollter Bilder wieder so verschlossen und verputzt wurden, daß sie kaum auszumachen waren, entstand das erste, bis heute unausgeführte Modell einer Rauminstallation, der zwei räumliche Arbeiten mit eingefärbter und aufgespannter Schlagschnur folgten. Schließlich spielte Lindenmann in einer Installation aus Abfallholz, zerstörten Keilrahmen sowie mit Teer verspachtelten Leinwandfetzen die „Generalprobe" durch, mit der er sich auf seine erste große öffentliche Installation im Kunstforum München vorbereitete, die 1982 ausgeführt wurde.
Das Kunstforum München ist ein schwieriger Raum, der, in einer Fußgängerunterführung gelegen, an der massiven Betonarchitektur dieser unterirdischen Funktionsarchitektur ebenso Anteil hat wie er, für sich betrachtet, provisorisch und unterkühlt wirkt. Er liegt als spröde Enklave in einem Ambiente massiver Brutalität, das sich kaum je wird ruinieren lassen, dafür aber bereits heute so aussieht wie sein eigener, auszementierter Bombentrichter. In dieser Kulturruine, welche die tägliche Kapitulation der Kultur des Fußvolkes vor der Zivilisation monumentalisiert, hängt man Bilder wohl nur mit Zögern an die Wand. Lindenmann hat für diesen Raum eine Installationslösung gewählt, die zeigte, daß er die kulturelle Lage dieses Ausstellungsraumes genau verstanden hatte und daher auch wußte, was man seiner Wucht entgegenzusetzen hat, um sich zu behaupten. Es ist keineswegs die Regel, daß Installationen derart genau auf den Raum bezogen werden. Viele der zahlreich gewordenen Installationen scheitern daran, daß die Künstler die Räume als Gelegenheiten wahrnehmen, als zufällige Austragungsorte, was sich darin rächt, daß die Räume sich gegenüber dem Kunstwerk behaupten und auf den Maßstab isolierter Exponate zurückwerfen, was als Installation auftreten wollte. Lindenmanns kalkulierte, in die Betonhöhle hineingetragene kleinteilige „Katastrophe" wahrte nicht nur in sich, im Bezug der Schwerpunkte und Fluchtlinien zueinander, auch in Bezug auf den Raum die Balance von Exponat und Raum so genau, wie es eine Installation tun muß. Es herrschte auch eine eigentümliche Balance zwischen der Bündelung des Materials und seiner raumgreifenden Wirkung, eine Lakonik, die gleichwohl beredsam war. Durch die großen Fenster des Kunstforums betrachtet, weckte Lindenmanns Installation in einem Betrachter Assoziationen an das „Eismeer" von Caspar David Friedrich, ein Hinweis darauf, daß Lindenmann die historischen Konnotationen des Bauschutt-Materials so weit abstrahiert hatte, daß neue, subjektive Konnotationen möglich wurden.
Walter Grasskamp (1983)
Presseinformation von Rike Wankmüller
Aus der damaligen Presseinformation vom Kunstverein Ingolstadt e.V. zur Ausstellung Kuno Lindenmann, Installation - Bilder, 09.-30. Oktober 1983, Kunstverein Ingolstadt, in den Ausstellungsräumen im Stadttheater Ingolstadt:„Ein Gedichtband, den Ernst Stadler 1913 veröffentlichte, hieß Aufbruch“, das war die Parole der expressionistischen Künstler, also der ersten Generation der Moderne. Altes mußte zerstört und überwunden werden, um in größere Räume zu gelangen. Heute, nach 70 Jahren, besteht das gleiche Bedürfnis. Aber heute trägt dies mehr den Sinn, daß Positives aus dem Negativen der Welt selbst gewonnen werden muß. So ist es zu vestehen, daß Kuno Lindenmann sein Werkmaterial in überflüssig gewordenem Baubruch abgerissener Häuser findet: Holzrahmen von Fenstern und Türen, Leinwandfetzen, Glas, Nägel. Derartige, uns überall begegnende Bruchstücke sammelt er und vereint vielfach gesplitterte Teile zu Zentren gebündelter Energie, die er Raumplastiken nennt. Wie alle Plastik verdrängen sie zwar Raum, sie sind jedoch nicht selbst raumhaltig, ohne eigentliches Innere. Schon vom Material her sind sie agressiv, haben die Tendenz, Schranken zu durchbrechen. Dies geschieht in der großen dreiteiligen Raumplastik der Ausstellung. Sie besteht aus zerbrochenen Fenster- und Türstöcken sowie aus Glasstücken. Tür und Fenster, einst Öffnungen des Hauses nach draußen, erhalten nun durch ihre Splitterformen und die Art, wie Lindenmann sie zusammenfügt einen gefährlichen Tatendrang; sie streben nach Grenzüberschreitung. Ein kräftiges Gelb unterstreicht die heftige Aktivität der Plastik, Schwarz und Weiß verdeutlichen die verschiedenen Bewegungsrichtungen, während Grautöne die Gesamtspannung um ein weniges mildern. Die Verbindung der drei Plastikteile führt von einer kleineren Gruppe an der Eingangswand des Ausstellungsraumes hinüber zu der großen Hauptfiguration, die keilartig die Wand durchstößt und in den Außenraum hinausdringt. Dort, im Freien, leitet sie den Betrachter auf eine dritte Plastik. Alle drei Skulpturen werden durch ein imaginäres, schwebendes Dreieck im aperspektivischen Raum zusammengefaßt. Solche Raumplastiken entstehen nicht spontan, sondern sorgfältig geplante Modelle gehen ihnen voran. In ihnen werden Formverbindungen und Wirkungszusammenhänge erprobt und erst dann in Großfiguren umgesetzt. Den raumsprengenden und raumverbindenden Formationen muß sich der Betrachter aussetzen, er muß sie nachvollziehen, muß sich einnisten, muß mitfliegen, muß mitschießen. Dabei ergeben sich gelegentlich unerwartete ästhetische Reize in dem beständigen Wechsel der Formen, der Hell-, Dunkel- und Farbverbindungen und ihren Ausstrahlungen in die Umgebung. Bei entsprechender Beleuchtung gesellen sich noch Schattenwirkungen hinzu. Die Fotos der Raumplastik aus dem Münchener Kunstforum veranschaulichen die genannten Möglichkeiten. 1979/80 entstand eine Zeichnung, die einen Arbeitsplan für die später entstandenen Raumskulpturen veranschaulicht. In drei Schichten übereinander wird ein Schaffensprozeß dargestellt. Er führt vom Aufritzen und Verschließen einer Grundfläche über die Versenkung eines zusammengerollten Gemäldes in eine neuerliche Eröffnung des Grundes, der wieder verschlossen wird, um dann von der Wirksamkeit hinter der Oberfläche im Inneren zu berichten. Diese Skizze, sensibel in Technik und Sprache ist beispielhaft für Lindenmanns Vorstellung von künstlerischem Tun: Öffnen, Verschließen, Verhüllen, Verwunden, Heilen. Auch die ausgeführten Raumskulpturen werden ja nach der Ausstellung wieder aufgelöst. Zerstörung von Wand, Durchbruch ins Freie, Verbindung von Innen und Außen sind von Lindenmann nicht nur geplante Aktionen, sondern auch bedeutende Bewußtseinsinhalte. Sie entsprechen auf eigenwillige Weise dem heutigen von den Naturwissenschaften geschaffenen Weltbild. Denn das alte Weltbild, so sagt C.F. von Weizäcker, besteht nicht mehr. „Es wurde gleichzeitig von innen und außen zerstört“. Die Mauern durchbrechenden, ins Offene hinausstoßenden Skulpturen Lindenmanns schaffen eine enge Verbindung von Gegenstand, Raum und Zeit. Es sind Denkbilder, die wieder verschwinden. Keine festen Formen werden postuliert, vielmehr handelt es sich um Botschaften, die der Hoffnung Ausdruck geben, daß Geistiges, gedachte Form, wirksam werden kann.
München im September 1983
Rike Wankmüller